Der Freundeskreis möchte das Gedenken auch in Form der Stolpersteine wahren die an die Verstorbenen in den Wittenauer Heilstätten erinnern. Hierzu hat sich der Freundeskreis am Sa, 26. Januar 2019 getroffen und sieht dies auch als seine Aufgabe an. 



Liesel Willkomm geb. 1912, gest. 1942 wurde von der Familie auf dem nahegelegenen Waldfriedhof Kleinmachnow beigesetzt.

Hr. Bindemann von der Stolpersteingruppe Kleinmachnow begleitet die Verlegung und der Künstler Gunter Demnig der den Stein verlegt

Der verlegte Stolperstein für Liesel am 20.2.2019 in Kleinmachnow

Der Künstler Gunter Demnig bei der Arbeit mit der Verlegung des Steins

Der Bläserchor begleitet die Verlegung mit ihrer Musik und unterstützt den eigens gebildeten Chor

Der Stolperstein ist verlegt. Kerzen, Blumen wie ein Bild von Liesel erinnern im Moment an ihre Geschichte und der Stein im Pflaster ab nun für immer. 

Der Platz für Liesel vor ihrem letzten Wohnort in Kleinmachnow


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Märkische Allgemeine 21.02.2019 Seite 20
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Auch hier ist ein Bericht über Liesel zu finden:

Überschrift Was War?

 

https://www.t-online.de/nachrichten/id_85287574/tagesanbruch-bildungspolitik-einladung-zum-weiterwursteln.html


 

Wir sind heute hier um Elisabeth, genannt Liesel, Willkomm zu gedenken.

 

Sie kommt am 15. Dezember 1912 in Riedisheim im Elsaß zur Welt, als 10. Kind von Emily Willkomm geborene Naumann und Martin Willkomm. Als sie ein einhalb Jahre alt ist, wird ihre Schwester Marie, meine Großmutter, geboren. Kurz darauf beginnt der erste Weltkrieg. Als der Krieg vorbei ist, muss die Familie das Elsaß Richtung Deutschland verlassen. Zur Ausreise bleibt nicht viel Zeit. Es gibt eine Obergrenze von 30 kg Gepäck pro Person. Über Nacht nähen Menschen aus der Gemeinde in der Vater Martin Pfarrer ist, Rucksäcke für jedes der elf Kinder. Die Familie kommt bei Verwandten in Planitz, in Sachsen unter. Im Jahr 1924 zieht die Familie mit inzwischen 12 Kindern nach Kleinmachnow. Die evangelisch lutherische Freikirche erwirbt das ehemalige Seemannserholungsheim und gründet eine kleine theologischen Hochschule. Liesels Vater übernimmt dort die Leitung. Die Familie lebt auf dem weitläufigen Gelände mit den vielen Kiefern, vor dem wir hier stehen. Als Kind verbringt Liesel viel Zeit mit ihren fast gleichaltrigen Schwestern Marie und Käthe. Auf fast allen Fotos, die von Liesel existieren sind sie zu dritt zu sehen. Wie viele in der Familie singt Liesel gerne. Sie interessiert sich auch sehr für Theologie, sitzt oft im Studierzimmer ihres Vaters und ließt in dessen Büchern. Möglicherweise hätte sie auch gerne an der Hochschule studiert auf deren Gelände sie gelebt hat. Aber die lutherische Freikirche sieht keine Berufung von Frauen ins Pfarramt vor. Die finanziellen Mittel der Familie sind begrenzt, nicht jedes der Kinder kann eine Berufsausbildung machen. Liesel erlernt keinen Beruf. Sie arbeitet als Haushaltshilfe oder betreut Kinder. Von einer Stelle berichtet sie in einem Familienrundbrief von 1938 folgendes:

 

 

 

Daß ich eine Beschäftigung in der Zeit als Spielleiterin hatte, wißt Ihr ja alle. [...} Meine Tätigkeit hat mich auch befriedigt. Ich hatte die Aufgabe, Kinder, im Alter von 13 Jahren und darunter, von einem bestimmten Sammelplatz nach dem Plänterwald zu bringen und dort mit ihnen den ganzen Tag zu spielen, abends ½ 6 Uhr dann wieder zurückzubringen. Es waren Kinder, die erholungsbedürftig waren und zum größten Teil alles Essen usw. von der Stadt Treptow bezahlt bekamen.“

 

 

 

Liesel beschließt einen Mann, mit dem sie eine Beziehung hat nicht zu heiraten. Wahrscheinlich lehnen ihre Eltern die Verbindung zu dem Mann auf Grund seiner Klassenzugehörigkeit ab. Diese wird wohl als nicht angemessen erachtet. Überliefert sind nur die Initialen des Mannes: A.S..

 

Liesels Erkrankung tritt, nach allem was wir wissen, im Jahr 1931 zum ersten mal auf. Sie ist 19 Jahre alt. Ihr Vater nennt es „die böse Krankheit“, ihre Geschwister später „Schwermut“ oder „Melancholie“. Sie wird behandelt in einer Klinik in Nikolassee.

 

Elf Jahre später im Oktober 1942 geht es ihr wieder schlecht. Sie lebt und arbeitet zu dieser Zeit im Haushalt eines älteren Ehepaars. Diese rufen die Eltern eines Abends an, da Liesel „ganz wirr und furchtbar traurig“ sei. Liesel wird von ihren Eltern nach Hause geholt, wo sie noch zwei Tage mit ihrer jüngsten Schwester Ruth verbringt, bevor die Eltern einen Arzt bestellen. Dieser stellt eine Bescheinigung zur Einweisung in ein Krankenhaus aus. Nachdem in näher gelegenen Krankenhäusern kein Platz zu kriegen ist, bringt die Mutter sie in die Wittenauer Heilstätten.

 

 

 

Der Vater schreibt dazu an die Familie:

 

Dort hat sie dann auch eine gute Aufnahme gefunden. Liesel selbst liess sich ganz ruhig wegbringen und hat auch unterwegs der Mutter keine Not gemacht. Nun wollen wir Morgen zum ersten Male hin, um sie zu besuchen. Wir hoffen zu Gott, dass es der rechte Platz ist und bitten Ihn, dass Er als der rechte Arzt für Seele und Leib ihr bald wieder zur Gesundheit und Klarheit verhelfe. Sie zuhause zu behalten, hätten wir nicht verantworten können.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Er schreibt weiter:

 

 

 

Übrigens hat sie von ihrer Reise noch sehr dankbar gesprochen und auch noch kurz, ehe sie wegfuhren, der Mutter gesagt, sie wisse wie lieb wir sie alle hätten und dass wir ihr viel Gutes getan hätten.

 

So wollen wir das Kreuz, das unser lieber himmlischer Vater uns geschickt hat, auf uns nehmen und in der Kraft seines Heiligen Geistes geduldig tragen, nicht zweifelnd, dass es uns allen und sonderlich unsrer lieben Kranken schliesslich noch zum Besten dienen muss, weil er nicht lügt. Ihr aber helft uns tragen und denkt in sonderheit in Euren Gebeten, namentlich bei den letzten Bitten des heiligen Vater Unsers unser und Eurer kranken Schwester. Und wenn wir Abends die Augen schliessen, wollen wir uns in dem Kindergebetlein vereinen:

 

Kranken Herzen sende Ruh',

 

Nasse Augen schliesse zu,

 

Lass uns an dem ew'gen Heil

 

Dort im Himmel haben Teil. Amen.“

 



 

7 Tage nach ihrer Aufnahme in den Wittenauer Heilstätten (heute Karl-Bonhoefer-Nervenklinik) wird Liesel am 16.10.1942 in die Landesanstalt Neuruppin verlegt. Gemeinsam mit 51 weiteren Patient_innen. Nur vier Tage später am 20.10.1942 ist Liesel tot. Der Familie wird mitgeteilt, die Neunundzwanzigjährige sei an Herzmuskelschwäche gestorben. Einer ihrer Brüder, Friedel, zieht diese Version in Zweifel und will der Sache nachgehen. Die Eltern unterbinden das. Liesels Leichnam wird nach Kleinmachnow überführt und am 26.10. auf dem hiesigen Waldfriedhof bestattet. Der Vater schreibt über die Trauerfeier:

 



 

Die Friedhofskapelle hatten wir mit grünen Pflanzen usw. schmücken lassen; sie machte einen sehr würdigen Eindruck und es war eine stattliche Versammlung, die sich dort einfand, um unsrer Liesel das Geleite zu geben. Der Steglitzer Kirchenchor sang ihr die Verse: "Wenn ich einmal soll scheiden usw.", die Ortsgruppenleiterin der Frauenschaft legte einen Strauss am Sarg nieder und viele Gemeindeglieder aus Steglitz und Nachbarn und Freunde von hier waren erschienen; war doch Liesel allgemein beliebt und wohl hier in Kleinmachnow das bekannteste unter den Gliedern unsrer Familie.“

 



 

Liesel ist eines der vielen Opfer der NS-Ideologie von „lebenswertem“ und „lebensunwertem“ Leben geworden. Ihr Tod war so schmerzhaft und schambesetzt, dass lange Zeit über ihn, aber auch über Liesels Leben in unsere Familie nicht offen gesprochen wurde. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir heute hier sind um Liesels Andenken wach zu halten. Lasst uns das auch als Anstoß nehmen auf einander zu achten, uns gegenseitig zu unterstützen und den Ideologien der Menschenverachtung immer etwas entgegen zu setzen!